Bürgerkrieg in Rom: Warum Caesar mit seinen Legionen den Rubikon überschritt - WELT (2024)

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Gaius Iulius Caesar verstand sich auf Melodramatik. „Weinend und sich seine Kleider von der Brust reißend flehte er seine Soldaten um ihre Gefolgschaft an“, beschrieb der römische Historiker Sueton die Szene, die sich am 10. Januar 49 v. Chr. am Grenzflüsschen Rubikon südlich von Ravenna abspielte. Zuvor soll ein „groß gewachsener, schöner Mann“ mit einer Trompete „leidenschaftlich zum Angriff geblasen haben“, worauf Caesar mit den berühmten Worten antwortete: „Auf, lasst uns ziehen, wohin die Zeichen der Götter und die Ungerechtigkeiten der Gegner uns rufen! Der Würfel ist gefallen!“

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Das lateinische Bonmot „Alea iacta est“ (eigentlich: Der Würfel ist geworfen worden) beschreibt noch heute eine Entscheidung für eine Handlung, die mit erheblichen Risiken verbunden ist. In Caesars Fall war dies die Eröffnung eines Bürgerkriegs gegen die Mehrheit des römischen Senats und damit gegen die Republik. Dass er diesen Machtkampf nach fünf Jahren schließlich gewann, verleiht dem auch von anderen Zeitgenossen überlieferten Zitat die Aura des Zupackenden, dem am Ende der Erfolg winkt. Doch hätte der Sprung ins Dunkle genauso gut in einer Katastrophe enden können, wie die Vorgeschichte der Rubikon-Szene zeigt.

Im Herbst des Jahres 50 v. Chr. hatte Caesar fünf Legionen in Norditalien in Stellung gebracht, sechs weitere und starke germanische Reiterverbände standen in Gallien bereit, das nach acht Jahren heftiger Kämpfe erobert worden war. Der große Aufstand des Vercingetorix war erfolgreich niedergeschlagen worden. Nun plante Caesar seine Rückkehr in die römische Innenpolitik.

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Doch es waren ausgerechnet seine außerordentlichen Erfolge, die Probleme aufwarfen. Mit seinen erfahrenen Soldaten und der riesigen Beute stellte Caesar sämtliche Rivalen im Kampf um die Macht in den Schatten. Dieser Kampf fand noch immer nach den Regeln der republikanischen Verfassung statt, die über Jahrhunderte hinweg als Regelwerk entstanden war, um die Ansprüche der Aristokraten und ihre Familien im politischen Ringen auszubalancieren. Mit seinem Kriegsruhm und seinen Machtmitteln aber sprengte Caesar diesen Rahmen.

Dass er dazu auch bereit war, hatte er 59 bewiesen, als er zum ersten Mal das Konsulat, das höchste Staatsamt bekleidete. Damals hatte er nicht vor Gewalt und Rechtsbruch zurückgeschreckt, um seine Interessen gegen die Senatsmehrheit durchzusetzen. Dabei hatte er sich vor allem auf die Volksversammlungen gestützt, was ihm, dem Angehörigen einer der ältesten Patrizierfamilien Roms, den Ruf eintrug, ein „Popular“ zu sein, der sich gegen die „Optimaten“ durchzusetzen verstand, die den Senat als Entscheidungszentrum aller Politik verteidigten.

Ein Bündnis mit dem berühmten Feldherrn Pompeius und dem Unternehmer Crassus, dem reichsten Mann Roms, hatte ihm dabei geholfen. Doch dieses sogenannten erste Triumvirat war längst zerbrochen. Crassus hatte gegen die Parther Heer und Leben verloren, und Pompeius neidete seinem Partner zunehmend den Erfolg. Im Gegensatz zu Caesar war es ihm beizeiten gelungen, sein außerordentliches Provinzkommando in Spanien samt der dort stehenden sechs Legionen zu verlängern, während dieser nun befürchten musste, dass der Senat seine Nachfolger in den gallischen Provinzen benannte und ihn damit entmachtete.

Bürgerkrieg in Rom: Warum Caesar mit seinen Legionen den Rubikon überschritt - WELT (9)

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Um zu verhindern, dass seine Gegner ihm den Prozess machten oder ihm direkt nach dem Leben trachteten, wollte sich Caesar erneut um das Konsulat bewerben. Dass er gewählt werden würde, stand außer Frage, gierte Roms Wahlvolk doch bereits nach den Spielen und anderen Wohltaten, die die gallische Beute versprach. Auch konnte er über ihm verpflichtete Volkstribune das Privileg erwirken, sich in absentia (in Abwesenheit) um das Amt zu bewerben, was den entscheidenden Vorteil hatte, dass er sich bis zu dessen Antritt am 1. Januar 48 bei seinen Truppen aufhalten konnte und damit vor Nachstellungen weitgehend geschützt war.

Ausgerechnet Pompeius war es, der seinen Seitenwechsel mit einem neuen Gesetz vorbereitete. Als Konsul des Jahres 52 hatte er ein Gesetz durchgebracht, das zwischen einer Amtszeit in Rom und einer Statthalterschaft in den Provinzen eine Frist von fünf Jahren festlegte. Das bedeutete, dass genügend Bewerber bereitstanden, um bei Auslaufen von Caesars Kommando im Jahr 50 dieses umgehend zu übernehmen.

Mithilfe von Magistraten, deren Schulden er übernommen hatte, konnte Caesar seine Befehlsgewalt bis Anfang 49 verlängern. Dann aber kam es am 7. Januar 49 zur entscheidenden Sitzung im Senat.

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Caesar bot an, er werde auf das Privileg in absentia verzichten, sich persönlich auf dem Forum bewerben und sogar seine Legionen entlassen, wenn auch Pompeius dies tue, sowohl in Italien als auch in Spanien. Nur die Statthalterschaft von Illyricum mit einer Legion wollte er bis zu seinem möglichen Amtsantritt als Konsul behalten.

Ob er diesen Vorschlag wirklich ernst meinte oder nur eine Ablehnung provozieren wollte, weil er längst zum Marsch auf Rom entschlossen war, hat seitdem viele Debatten befeuert. Der Historiker Wolfgang Blösel zieht in seinem Buch „Die Römische Republik“ ein vorläufiges Fazit. Danach ging es Caesar vor allem darum, zumindest einige seiner Truppen zu behalten. Sowohl gegen Pompeius als auch zur Sicherung seiner Wahl brauchte er dieses Druckmittel. Dagegen konnte er „mit gutem Grund davon ausgehen, dass die großen Sympathien, die er bei den Stadtrömern besaß, eine Verurteilung in einem möglichen Prozess verhindern würden“.

Pompeius, der berühmte Redner Cicero und ein Teil des Senats signalisierten Kompromissbereitschaft. Doch Cato der Jüngere und der Kern der Optimaten blieben hart und gewannen schließlich die Zustimmung zur Ausrufung des Staatsnotstands, dessen Exekution Pompeius und anderen hochrangigen Magistraten übertragen wurde. Zugleich ernannte man die Konsuln des Jahres 54 zu Nachfolgern Caesars, dem damit Befehlsgewalt und Truppen entzogen wurden.

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Die im Sold Caesars stehenden Volkstribune, darunter sein General Marcus Antonius, erkannten, was die Stunde geschlagen hatte, und machten sich aus dem Staub. Vor seinen Soldaten konnte sie Caesar als Opfer seiner Gegner präsentieren und sich selbst damit als Verteidiger der Verfassung. Seine Soldaten brauchten solche Argumente kaum. Sie sahen in ihrem Feldherrn den Garanten ihres Erfolges und Wahrer ihrer Interessen, der ihnen bereits Ruhm und märchenhafte Beute verschafft hatte.

Caesars Motive sind schwieriger zu fassen. Er war nicht einfach nur ein ehrgeiziger Politiker, der nach der Macht strebte. Er tat diese immer noch im morschen Korsett überkommener Regeln und Traditionen. Doch damit sprengte er die Verfassung. Denn deren Grundlage waren die Maßstäbe einer Meritokratie gewesen, in der sich der Rang eines Aristokraten im politischen System durch die Erfolge definierte, die er durch Leistungen für den Staat erreicht hatte. Welcher seiner Zeitgenossen (mit Ausnahme des Pompeius) aber konnte auch nur annähernd vergleichbare Meriten vorweisen?

Caesar war daher von der Gerechtigkeit seiner Forderungen und der Rechtmäßigkeit seiner Position derart überzeugt, dass er den Bürgerkrieg als legitimes Mittel zur Durchsetzung ansah, resümiert sein Biograf Martin Jehne. Dass seine Gegner die eingangs zitierten „Ungerechtigkeiten“ nicht sahen, erklärt der Dresdner Historiker mit einem „Defizit an Fremdverstehen“: „Bedingt durch den eng normierten Verhaltenskodex ging man im großen Ganzen schlicht davon aus, dass alle die Welt genauso sähen wie man selbst und dass dies natürlich auch die richtige Sicht sei.“ Caesar sah dies bekanntlich anders und ließ das Schicksal entscheiden: „Alea iacta est.“

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